3.4.3. Von massenhaften zufälligen Ereignissen zur Eindeutigkeit der Naturgesetze

Aus den inzwischen bekannten kernphysikalischen Eigenschaften einiger Grundbausteine und Grundkräfte der Materie sind direkt ableitbar die quantentheoretisch erfassbaren und experimentell überprüfbaren Interaktionen von Partikeln oder größeren Objekten, aus deren Effekten ja zuvor die erstgenannten Grundannahmen erschlossen worden waren. Je nach den im Einzelnen gegebenen Anfangs- und Randbedingungen können sich diese Interaktionen, im nächsthöheren makrophysikalischen Maßstab betrachtet, auf die verschiedensten Weisen auswirken, und sie erscheinen dann in ihrem Nebeneinander als völlig zufälliges Gewimmel, z.B. als sich in verschiedenste Richtungen ausbreitende Strahlung. Wenn diese zufälligen Prozesse jedoch auf große materielle Objekte bezogen werden und im astronomischen Maßstab zusammenwirken, können sich aus ihnen schließlich Gesamtbewegungen und generalisierte Bewegungsabhängigkeiten ergeben, die dennoch von bemerkenswerter Regelhaftigkeit und sogar streng mathematischer Gesetzmäßigkeit sind, so etwa die Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne, die sich als geometrisch völlig korrekte Ellipsen um zwei Brennpunkte (einer davon im Innern der Sonne) erwiesen haben.

Zu früheren Zeiten fragte man angesichts dieser Gesetzmäßigkeiten: wer schreibt den Gestirnen ihre Wege vor, wer stimmt ihre Bahnen aufeinander ein? Die Antwort lag in religiös bestimmten Epochen nahe, schon in den polytheistisch-kosmozentrischen Kulturen: Die großen Gestirne selbst wurden als göttlich verstanden, und sie bestimmten ihre Wege über den Tages- und Nachthimmel selber. Seit dem Aufkommen der Monotheismen ist es Gott, der Herr, der oberste Bestimmer und Lenker von Allem, der auch den Gestirnen ihre Wege vorschreibt. Und seit der Aufklärung schwankten die Meinungen zumindest der Aufgeklärten zwischen einerseits der Rückführung alles Geschehens auf den Zufall und andererseits seiner Festlegung durch ein Natur"gesetz", dessen himmlischer Gesetzgeber aber nicht mehr so deutlich mitgedacht wurde. Eher noch konnte es geschehen, dass Gott selber zum obersten Naturgesetz säkularisiert wurde, als dass etwa noch auf religiöse Weise das Naturgesetz als vom Gesetzgeber "Gott" erlassen betrachtet wurde.

Wir fragen nun von neuem, wie die Brücke zwischen kernphysikalischer Spezifität über makrophysikalische Zufälligkeiten bis zur astronomischen Gesetzmäßigkeit geschlagen werden kann. Christoph von Mettenheim ist dieser Frage in seinem Buch "Popper versus Einstein. On the Philosophical Foundations of Physics" (Mohr-Siebeck. Tübingen, 1998. SS. 128, 150/151, 212 - 215) nachgegangen. Ich will versuchen, seine darauf bezüglichen Überlegungen in der Weise zu referieren, dass ich seine englischsprachig formulierten Argumente in neu gewählter Reihenfolge und mit wenigen Ergänzungen und dies alles mit meinen eigenen Worten in einem inhaltlich naheliegenden Zusammenhang wiedergebe.

Ich gehe also aus von der Frage des Autors, bei welchen Naturphänomenen solche Regel- und Gesetzmäßigkeiten feststellbar sind und wie sie dort erklärt werden. Überall in der Natur kennen wir ja Fälle, wo anscheinend völlig chaotische Naturvorgänge schließlich geometrisch beschreibbare Regelmäßigkeiten aufkommen lassen. Ein einfachstes und zugleich überzeugendes Beispiel dafür ist die trotz der chaotisch ungerichteten Bewegungen der einzelnen Wassermoleküle dennoch völlig plane Wasseroberfläche, eine Fläche von einfachster geometrischer Regelmäßigkeit, jedenfalls solange keine äußeren Störungen wie Seebeben-Wellen, Winde oder Stürme oder auch mechanische Einflüsse von im Wasser oder auf dem Wasser schwimmenden Objekten auf das Wasser einwirken und seine eigentlich plane Oberfläche verformen. Die ebene Abgrenzung des Wassers zur Luft (im geographischen Maßstab eines "völlig stillen" Stillen Ozeans müsste sie natürlich gewölbt sein) ist im wesentlichen bedingt durch die weitgehende Gleichartigkeit der Wassermoleküle und vor allem durch die Dichte des Wassers im Unterschied zur Dichte der Sandkörner und der Dichte der Luftmassen (wobei deren spezifisches Gewicht noch mit der Gravitation zu tun hat). Unterschiede in anderen Hinsichten, etwa der Temperatur, waren dabei noch nicht in Betracht gezogen worden. Darüber hinaus müssen wir die jeweiligen Bedingungen ausfindig machen, welche bewirken, dass Wasser nicht nur eine solche ebene Oberfläche bilden kann, sondern sich auch zu Tropfen runden und zu hexagonalen Schneeflocken oder zu starren Eisdecken kristallisieren kann. Es gibt auch Bedingungen, die zu ganz zufälligen, chaotischen Konstellationen derselben Wassermoleküle führen können, nämlich zu einem fein verteilten Nebel und schließlich zu heißem Wasserdampf mit völlig ungerichteten schnellen Molekularbewegungen, die dennoch im geschlossenen Wasserkessel als Dampfdruck messbar sind. In all diesen Fällen konnte die gleiche Substanz je nach den äußeren Bedingungen die eine oder andere geometrische Form oder auch eine zufallsbestimmte, aber mess- und berechenbare Konsistenz annehmen.

Aus statistischen Summationen von im Einzelnen ungerichteten Bewegungen von kleinsten Teilchen können dennoch relativ einfache geometrische Formen und mathematisch eindeutig formulierbare Interaktionen materieller Körper hervorgehen. Das ist eine empirische Hypothese, zu deren Unterstützung wir in der Natur eine große Fülle von Belegen finden. Zur Verdeutlichung dieser Behauptung geht v. Mettenheim einer Vielzahl von exemplarischen Fällen nach. So stellt er fest, dass wir immer, wenn wir in der Natur geometrische Regelmäßigkeiten physikalischer Phänomene mit exakt mathematisch beschreibbaren Eigenschaften antreffen, davon ausgehen können, dass sie sich jeweils aus einer großen Anzahl ihnen zugrundeliegender Einzelereignisse von geringerer oder sogar kleinster Dimensionalität zusammensetzen. Die Einzelbewegungen sind vielfach um (viele) Größenordnungen kleiner als das daraus resultierende Gesamtgeschehen. Unsere Sinnesfähigkeiten sind nur zu unempfindlich und auflösungsschwach, um die in den Gesamtbewegungen zusammenwirkenden Einzelbewegungen voneinander unterscheiden oder sie je einzeln genau wahrnehmen zu können. Stattdessen sehen oder messen wir nur den Gesamteffekt. Dieser ist in der Regel bedingt durch die Gleichförmigkeit der letzthin zugrundeliegenden Ereignisse und durch die weitgehende oder auch völlige Gleichartigkeit ihrer physikalischen Eigenschaften. Unter gleichermaßen gleichartigen Anfangs- oder Randbedingungen können dann die an Elementarteilchen ansetzenden Kräfte zusammenwirken, und über umfangreiche, nur statistisch nachvollziehbare Summierungen solcher Einzelereignisse können sich daraus deren Resultanten, also Gesamtkräfte oder Regelmäßigkeiten der Bewegung und der Form ergeben. Die Geometrisierbarkeit ist im Grunde bedingt durch räumliche Gegebenheiten, die sich z.T. selbst zuvor aus einfachen empirischen Bedingungen ergeben haben. So gelten geometrische Beziehungen und mathematische Gesetze bei allen Naturphänomenen, die bei großen Quantitäten von Kräften und Elementen gleicher Art als deren statistischer Gesamteffekt auftreten. Naturgesetze eignen sich somit zur Beschreibung des Zusammenwirkens von sehr vielen kleinsten gleichartigen Einzelereignissen.

Von dieser allgemeinen Grundlage ausgehend folgert v. Mettenheim, dass auch die offenbar streng geometrischen und in Naturgesetzen exakt mathematisierbaren Qualitäten der Gravitation das Endergebnis eines statistischen Zusammenwirkens von grundlegenden Vorgängen großer Einfachheit, aber kleinster Dimensionen sein könnten. Er sieht diese Vorgänge in Bewegungen eines Äthers begründet. Ich selber ziehe vor, sie auf eindeutig feststehende Eigenschaften von kleinsten Teilchen einer gravitativen Korpuskular-Strahlung (nämlich von Gravionen) zurückzuführen, und zwar als abhängig von den Bedingungen, unter denen diese ausgestrahlt werden. Sogar eine hochkomplexe Ausgangssituation, nämlich wenn die Gravionen sich völlig irregulär in alle Richtungen ausbreiten würden, könnte unter bestimmten Randbedingungen zu einsinnig gerichteten Bewegungen der von diesen Gravionen getroffenen Materie führen. Dementsprechend könnte die oben erwähnte ebene Abgrenzung der Wasseroberfläche zur Luft bedingt sein durch die Gleichförmigkeit der auf die Wassermoleküle von außen (zur Erdmitte hin) einwirkenden Gravitationskraft, die zwar, wie wir annehmen können, ursprünglich aus unzähligen in verschiedenen Richtungen wirkenden Einzelkräften der Gravionen bestand, im Endeffekt aber diese einheitliche Gesamtwirkung auf das Wasser hat.

Akzeptieren wir dieses Paradigma versuchsweise als einen neuen Erklärungsansatz, so wäre es nicht mehr angesagt, physikalische Vorgänge großen (astronomischen) Maßstabs wie die Gravitation auf ebenso ausgedehnte, aber eigentlich doch eher magische Ursachen wie "die Krümmung des Raumes" zurückzuführen (die Physiker sehen diese Begrifflichkeit natürlich anders, als mathematisch korrekte Beschreibung der Vorgänge). Es könnte ja auch in diesem Bereich die Möglichkeit bestehen, die Wirkungen der Gravitation ohne großen gedanklichen Aufwand als Gesamtergebnis einer Unzahl von Einzelereignissen zu verstehen, die sich vielleicht sogar ursprünglich in den kleinsten je vorfindbaren Dimensionen abspielten. Versuchen wir es doch einmal, geben wir einer solchen Theorie die Chance, verständlich formuliert und dann empirisch überprüft, ja sogar bestätigt, oder aber mit guten Gründen verworfen zu werden!