3.2.7. Gravitationswirkungen als Folge einer Raumzeit-Krümmung ?

Befassen wir uns also weiterhin mit der von Albert Einstein in den Jahren 1907 - 1915 konzipierten Allgemeinen Relativitätstheorie (AR), und lassen wir zunächst ihre Befürworter zu Worte kommen. Nach M. Alcubierre stellt die AR "eine fundamentale Umwälzung unseres Verständnisses vom Kosmos dar. Die Raumzeit ist nicht länger nur die Bühne, auf der sich die physikalischen Ereignisse abspielen, sie ist selbst zu einem dynamischen Objekt geworden" (G 73). Ganz ähnlich schreibt U. Borgeest: "In der Allgemeinen Relativitätstheorie ist die Raumzeit ein physikalisches Objekt wie andere auch" (G 68). Das ist offensichtlich ganz wörtlich zu nehmen, denn er erläutert: "Sie ... ist ein dynamisches Feld, das wirkt und Wirkungen erfährt" (G 68). Und schon einige Seiten zuvor hatte er präzisiert: "Die grundlegende Annahme ist, dass die Materie aufgrund ihrer Masse und ihrer Bewegung in Wechselwirkung mit der dynamisch veränderlichen Metrik der Raumzeit steht" (G 63), und wieder später: " ... die Metrik (kann) selbst Energie und Impuls aufnehmen ..." (G 68) und "...die Metrik der Raumzeit (hängt) von den materiellen Umständen ab ..." (G 68).

Was kann damit gemeint sein? Zunächst ist der Begriff der Raumzeit zu klären. Er ist zentral für eine Theorie der Raum-Zeit-Struktur, in die neben den drei Dimensionen des Raums auch noch die als vergleichbare Dimension verstandene Zeit eingeführt wird, mit der Absicht, damit gravitative Phänomene korrekt zu beschreiben (G 63). M. Alcubierre weist auf den Beitrag des Mathematikers Hermann Minkowski (1908) hin, der zeigen konnte, "daß die Raumzeit eine absolute Größe ist: Die Punkte dieses vierdimensionalen Gebildes heißen Ereignisse. Ein Ereignis ist etwas, das an einem gewissen Ort zu einer gewissen Zeit geschieht". Und er zitiert einen Kommentar dieses Autors: "Der Raum und die Zeit, jeweils für sich genommen, sind von nun an nur noch Schatten, und nur die Verschmelzung von beiden wird eine unabhängige Wirklichkeit bewahren" (G 73). An dieser Stelle kam mir die Frage auf: Kenne ich das nicht schon von irgendwoher? Dass das uns Vertraute eigentlich bloßer Schein sei, dass "wirklich" nur etwas Anderes sei, das allein durch ein tieferes (bzw. höheres) Verständnis erfahrbar wird, und nur von Eingeweihten erfahren werden kann? Für mich selber jedenfalls ist ein Raumzeitpunkt nur unter höchster Konzentration kurzfristig als Realität erfahrbar, eigentlich nur solange ich versuche, die darüber schriftlich vorgebrachten Erklärungen und Diagramme zu verstehen. Danach falle ich wieder zurück in die gewohnte Praxis, irgendwelche Objekte im dreidimensionalen Raum zu verorten und ihre Veränderungen, falls sie sich überhaupt verändern, im allgemeinen zeitlichen Rahmen zu sehen, meistens mit Hilfe meiner Armbanduhr. Jedes über dieses biologisch naheliegende und leicht handhabbare Orientierungssystem hinausgehende Maßsystem, dessen Anwendung erhebliche Anstrengung erfordert, muss genügend begründet sein und muss zugleich auf die Primärorientierung beziehbar bleiben.

Die Autoren von "Gravitation", allesamt Fachleute, versuchen natürlich, solche Verstehensschwierigkeiten durch Veranschaulichungen der Theorie zu mindern oder aufzuheben. So stellen B. F. Schutz (G 20) und die Autoren H.-P. Nollert, M. Kunle und H. Ruder (Physik der Gravitationswellen. G 47) die Veränderungen der Raum-Zeit-Geometrie durch Gravitationswellen in einem Schema dar, in dem einige frei bewegliche Testmassen zunächst kreisförmig angeordnet sind. Beim Durchgang einer Gravitationswelle verformt sich dieser Kreis zu einer Ellipse. Und jetzt die Überraschung: "Die Testmassen selbst spüren dabei keine Kräfte, da sie sich frei auf Geodäten (H. Sch.: auf kürzesten Verbindungen zwischen zwei Punkten auf einer - ggf. gekrümmten - Fläche) bewegen; dennoch ändert sich ihr Abstand zueinander: Diese Abstandsänderung ist unmittelbarer Ausdruck der Veränderung der lokalen Geometrie durch die Gravitationswelle" (G 47). Das hieße also: durch die Gravitationswelle ändert sich die lokale Geometrie und das geht mit einer Abstandsänderung der Körper einher. Das hätte ich doch gern einfacher! Aber die Erklärung wird sogar eher noch schwieriger, wenn die Autoren anschließend einschränkend konstatieren, dass die vor Ort gewaltige Strahlenleistung von Gravitationswellen schließlich (jedenfalls in der irdischen Messapparatur) nur eine winzige Veränderung der Raum-Zeit-Geometrie bewirkt: "Offensichtlich ist das Raumzeit-Kontinuum, in dem wir leben, extrem stabil und steif, so dass auch für menschliche Maßstäbe riesige Energiedichten nur winzige Deformationen bewirken können" (G 50). Ähnlich äußern sich im gleichen Heft P. Aufmuth und K. Danzmann (A.+D.: Mikrophone für das Konzert des Kosmos. G 28): "Die Raumzeit verhält sich so ähnlich wie ein sehr steifes elastisches Medium". Ein extrem stabiles und sehr steifes Raumzeit-Kontinuum als Medium der Gravitation? Ist damit nicht die längst verworfene Äthertheorie auf einem diesmal mathematischen Umweg und nur wenig modifiziert wieder zur Geltung gekommen?

U. Borgeest beschränkt sich in seinen Beispielen stärker auf die Nützlichkeit der Theorie zur korrekten Beschreibung der beobachtbaren Phänomen: "Sehr kompakte Himmelskörper, zum Beispiel Neutronensterne, ... , verformen die Raumzeit ihrer Umgebung noch so stark, dass nur die Allgemeine Relativitätstheorie ... ihre Wechselwirkung mit anderen Körpern korrekt beschreiben kann. Bei der exakten Vermessung des Himmels und bei der Definition einer hochgenauen Weltzeit müssen die Forscher die Schwerkrafteinflüsse der Körper unseres Sonnensystems auf die Raum-Zeit-Metrik berücksichtigen." Und derselbe Autor, wenig später (G 69): "Bereits die Lichtablenkung im Schwerefeld können die Physiker nur richtig beschreiben, wenn auch die Krümmung des Raumes selbst berücksichtigt wird".

In der Verbalisierung der zunächst mathematisch formulierten Beschreibung spielt nun der Begriff der "Krümmung" der Raumzeit eine bedeutsame Rolle. Da häufen sich in den Texten Formulierungen wie "(eigentlich) ist die Gravitation keine Kraft, sondern (nichts anderes als) eine Eigenschaft, insbesondere eine Krümmung der durch Massen veränderten Minkowskischen Raumzeit" (B. F. Schutz, G 20; P. Aufmuth und K. Danzmann, G 28; M. Alcubierre, G 73). Alcubierre erläutert dies in zwei Schritten. Einerseits gilt: "Die Anwesenheit von massereichen Körpern oder von energiereichen Feldern verändert den Fluss der Zeit und die lokale Geometrie, also die Abstände zwischen Punkten. In einem Gravitationsfeld gehen Uhren langsamer und die Winkelsumme im Dreieck beträgt mehr als 180 Grad" (G 73). Andersherum "gibt die Raumzeit-Geometrie vor, wie sich die Körper bewegen: Ihre Bahnen sind 'Geodäten' der Raumzeit. Eine Geodäte ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Ereignissen. In einer flachen Raumzeit sind die Geodäten gerade, in einer gekrümmten Raumzeit sind die Geodäten ebenfalls gekrümmt. Aus diesem Grund (!) bewegt sich der Mond um die Erde und die Erde um die Sonne" (G 74). Für den Mond selber ist seine Fortbewegung anscheinend eigentlich gerade: er könnte annehmen, die Erde bewege sich ziemlich krumm um ihn herum. Das wäre eine geradezu lunozentrische Auffassung, die kein römisches "Imprimatur" verdiente! Doch zurück zu Alcubierre: die von ihm angebotenen Erläuterungen fand er bei dem Physiker John Wheeler folgendermaßen genial zusammengefasst: "Die Materie schreibt der Raumzeit vor, wie sie sich zu krümmen hat, und die Raumzeit schreibt der Materie vor, wie sie sich zu bewegen hat" (G 74). Da haben wir ein paar strenge Gesetzgeber. Ohne Gesetze und Vorschriften geht es offenbar nicht, da sei Gott vor!

Aber kommen wir auf die Veranschaulichungsversuche zurück. Ganz einfach macht es M. Alcubierre: "Ein massereicher Himmelskörper dellt die Raumzeit quasi ein; weit entfernt von ihm ist die Raumzeit nahezu flach" (G 74). Ähnlich erklären es P.Aufmuth und K. Danzmann (G 28): "Große Massen, wie Sterne oder Galaxien, verformen ihre raumzeitliche Umgebung, sie erzeugen gewissermaßen Dellen im Raumzeitgefüge. Bewegen sich andere Sterne durch solche Gebiete, so werden sie durch diese Dellen aus ihrer ursprünglichen Bahn abgelenkt. Es sieht so aus, als würden sie von der großen Masse angezogen (eben durch deren Schwerkraft), tatsächlich (sic!) folgen sie nur (!) der durch die Struktur der Raumzeit vorgegebenen Bahn". Und wenn Nollert, Kunle und Ruder schreiben, Gravitationswellen seien "periodische Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten" (G 47), dann ist die von mir schon angesprochene Nähe zur Äthertheorie noch einmal deutlich geworden, ebenso in der Formulierung von B. F. Schutz: "Eine Gravitationswelle ist demnach eine sich durch den Raum ausbreitende, mehr oder weniger periodische Änderung der Raumzeit-Krümmung" (G 20).

Dem physikalischen Laien tauchen da einige Fragen auf: Ist bei der Umlaufbahn des Mondes um die Erde der Raum um die Erde insgesamt gekrümmt, oder nur der Raum an der Stelle, die der Mond gleich erreichen wird? Wie verhalten sich die vom Mond und die von der Erde bewirkten Raumkrümmungen zueinander? Gibt es in solchen Fällen Doppel- oder sogar Dreifach-Krümmungen, vielleicht vergleichbar den Doppelwendeln der klassischen Glühlampen? Und ein künstlicher Satellit - vielleicht sogar ein Raumfahrzeug - , wie krümmt er die schon gekrümmte Raumzeit, wenn er den Mond umkreist, der die Erde umkreist, die wiederum, sich selber täglich drehend, einmal im Jahr die Sonne umkreist? Sind wir schon wieder bei den Epizykeln und Exzentern des Ptolemäus angelangt? Vielleicht hat es etwas mit diesen Fragen zu tun, wenn Werner Benger (Kollisionen Schwarzer Löcher - Beobachtungen im Datenraum. G 57) kritisch anmerkt: "....Obwohl Albert Einstein die Grundlagen der Allgemeinen Gravitationstheorie bereits vor 85 Jahren veröffentlichte und seither einige Generationen von Wissenschaftlern die Theorie vorangebracht haben, sind nach wie vor selbst elementar erscheinende Probleme ungelöst. Dazu gehört das so genannte Zwei-Körper-Problem, also die Situation zweier kompakter Massen, die sich gegenseitig durch ihre Schwerkraft beeinflussen. Im Rahmen der klassischen Gravitationstheorie hat bereits Newton das Zwei-Körper-Problem vollständig gelöst, indem er zeigte, dass sich die beiden Massen auf Ellipsen- oder Hyperbelbahnen umeinander bewegen. Auf diese Art konnte er die von Kepler gefundenen Gesetze der Planetenbewegung aus dem Gravitationsgesetz ableiten. In der allgemein-relativistischen Variante hat sich das Zwei-Körper-Problem bisher hartnäckig jedem Versuch einer Lösung ohne Computerhilfe widersetzt." Da wäre zu fragen: Warum sich etwas einfach machen, wenn es auch komplizierter geht und dann eben nicht mehr geht?

Weitere Fragen wären: Wird für die Eindellung bzw. Krümmung des Raums Energie verbraucht? Wie haltbar ist die Raum-Delle? Wie schnell ändert sich die Raumkrümmung, wenn ein Himmelskörper die Bahn eines anderen Himmelskörpers um ein Zentralgestirn herum kreuzt, etwa kurz nach ihm? Es gibt sogar schon Antworten auf solche Fragen. So stellt W. Benger (G 61) fest, dass in der (Raumzeit-)Krümmung die Gravitationsenergie gespeichert sei. Auch wenn der Raum vollkommen materiefrei sei, könne er Gravitationsenergie enthalten: "Und wenn diese groß genug ist, kann es geschehen, dass ... diese Krümmung ... in sich zusammenfällt. Auf diese Art entsteht ein Schwarzes Loch aus reiner Gravitationsenergie". Die Klärung dieser Frage hat B. F. Schutz in einem Interview unter dem Titel "Spitzenleistung ist der Maßstab" als Arbeitsprogramm der Abteilung Allgemeine Relativitätstheorie des Potsdamer Albert-Einstein-Instituts angeführt: "(Sie) untersucht Singularitäten, also Orte, an denen die Krümmung der Raumzeit unendlich groß ist und die Raumzeit aufhört zu existieren, zum Beispiel im Innern eines Schwarzen Loches. Wir wissen noch nicht, was dies physikalisch bedeutet" (G 10). Daher kann das Wort "untersucht" wohl nur bedeuten, dass dort mathematische Modelle entwickelt werden, aus denen verschiedene wiederum mathematische Konsequenzen abgeleitet werden können, vielleicht auch solche, die sich irgendwann einmal auf eine vorfindbare Wirklichkeit beziehen lassen.

Ein noch im strikteren Sinne kosmologisches Problem ist die Fluchtbewegung der Galaxien, die aus der Rotverschiebung der Spektren von entfernteren Sternsystemen abgeleitet wurde. Nach M. Alcubierre (G 75) lässt sie sich am einfachsten durch die Annahme erklären, dass es der Raum selber ist, der expandiert. Der Autor erläutert: "Aufgrund der Expansion des Kosmos bewegen sich ... sehr weit entfernte Galaxien schneller (sic!) als mit Lichtgeschwindigkeit voneinander fort. Dabei verändern die Galaxien ihren Ort nicht - es ist alleine der Raum, der expandiert". U. Borgeest (G 68) ergänzt, dass sich der Kosmos aufgrund der Einsteinschen Feldgleichungen nur auf zwei Arten dynamisch entwickeln kann: Entweder expandiert die Raumzeit oder sie kontrahiert. Dazu mein Kommentar: das mag für den Kosmos dann gelten, wenn man ihn quasi von fern betrachtet. Im Abschnitt 3.9.5. werde ich jedoch darzulegen versuchen, dass eine periphere Expansion des Kosmos (nicht des „gesamten Raumes“, sondern der gesamten Materie!) keineswegs eine gleichzeitige zentrale Verdichtung desselben Kosmos ausschließt, dass vielmehr beide Effekte nebeneinander bestehen können und sogar die gleiche Ursache haben.

Die von den Astrophysikern vorgetragenen kosmologischen Spekulationen im großen Maßstab kann ich noch einigermaßen nachvollziehen. Schwerer tue ich mich damit, mir vorzustellen, dass auf ähnliche Weise wegen der Raumzeitkrümmung mir eine Heftklammer vom Schreibtisch auf den Teppichboden fiel. Wegen einer von der Heftklammer im Zusammenwirken mit der Erde verursachten Raumzeitkrümmung? Vergleichbare Schwierigkeiten haben auch die Autoren Hermann Nicolai und Markus Pössel (Strings - Grundbausteine im Kosmos. G 79) wenn sie einräumen: "...Der Anschauung versagt sich allerdings, dass durch Teilchenaustausch auch eine anziehende Kraft resultieren kann", aber sie beruhigen sich schnell: " - in der Quantenwelt ist dies möglich". Aber die "Anziehung" durch Gravitation wirkt auch über astronomische Entfernungen, und "bei der Gravitation (gibt es) nur eine Anziehung, keine Abstoßung. Daher lässt sich die Gravitation nicht neutralisieren" (U. Borgeest, G 63). Wir werden uns später mit Theorien befassen, in denen diese Probleme nicht mehr auftreten müssen, da nach ihnen ein und dieselben Partikel sowohl Abstoßung als auch "Anziehung" (besser: Zusammenführen) bewirken können.