2.4.15.8. Ursachen im Mobbing-Opfer

Es ist eine schwierige Frage, inwieweit Mobbing-Opfer den schikanösen Umgang mit ihnen selbst mit verursachen. Diese Frage ist nicht nur schwierig zu beantworten, sondern schon schwierig zu stellen. Von manchen wird es als böse Verunglimpfung der Opfer angesehen, diesen selbst die Schuld in die Schuhe zu schieben ("Don't blame the victim!"). Aber kann man denn davon ausgehen, dass jemand ganz ohne sein Zutun einfach von anderen gemobbt wird? In meiner Sicht sprechen einige persönliche Erfahrungen dagegen. Es sind daher wissenschaftliche Untersuchungen wie die von Premper notwendig, um neben und eher nach der Rolle der Täter auch die Rolle der Opfer zu klären, auch um aus solcher Kenntnis ggf. das Ausmaß ihrer Eigenbeteiligung vorbeugend oder therapeutisch zu vermindern.

Es muss dabei natürlich der Fehler vermieden werden, die individuellen psychischen Problemlagen und Defizite generalisierend als die Ursache von Ausgrenzungen am Arbeitsplatz anzusehen. In dieser falschen oder zumindest einseitigen Sicht gelten "Schwierigkeiten" am Arbeitsplatz schon als Indikator für schon mitgebrachte problematische Verhaltensweisen der gemobbten Person, die sich eben auch am Arbeitsplatz manifestieren, so als sei der Gemobbte jemand, der immer schon Schwierigkeiten machte, noch bevor er mit anderen Personen Schwierigkeiten bekam. Dabei wird nicht bedacht oder sogar unterschlagen, dass ein offensichtlich problematisches Verhalten auch eine durchaus nachvollziehbare Folge von Mobbing sein kann.

Auch wenn man dies alles berücksichtigt, gibt es dennoch Eigenschaften oder persönliche Probleme, welche die Wahrscheinlichkeit, Mobbing-Opfer zu werden, erhöhen. Das kommt vor allem dann ins Spiel, wenn in eine seit Jahren bestehende Arbeitsgruppe jemand neu hinzukommt und das soziale Beziehungsgefüge sich neu kalibrieren muss und wenn sich dabei Hierarchien ändern. Rigide soziale Normen in der Mitarbeiterschaft können dann zu harter Ausgrenzung und zu Schikanen gegen Kollegen führen, die in irgendeiner Hinsicht als anders erlebt werden. Als Indikatoren für "Opfer-Eignung" zählt Premper folgende Besonderheiten in der äußeren Erscheinung oder der Lebensgestaltung auf: Es sind oft Personen, die groß- oder kleinwüchsig sind, eine andere Hautfarbe, eine auffällige Fortbewegung oder eine auffällige Kleidung haben. Auch eine andere Weltanschauung, eine andere Lebensform oder eine andere sexuelle Orientierung können das Risiko, Mobbingopfer zu werden, erhöhen. Das gleiche gilt für Krankheiten wie Epilepsie, Hautausschlag, Tics, sowie für Körperbehinderungen, auch für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit.

Auch in der Persönlichkeit des Neulings begründete Probleme, z.B. seine Neigung, sich leicht gekränkt und angegriffen zu fühlen, können zu aggressiven Überreaktionen der anderen führen. Ähnlich reagieren Menschen auch auf geringe soziale Kompetenz und erkennbar niedriges Selbstwertgefühl, sowie auf starke Stimmungsschwankungen ("Launen") und ein geringes Selbstvertrauen des Hinzugekommenen. Er kann auch Leistungsprobleme haben: anscheinend fehlen ihm die erforderlichen Kenntnisse oder Fähigkeiten, es liegt eine hohe Fehlerquote oder eine geringe Leistungsbereitschaft mit häufigen Fehlzeiten vor. Das kann ja wirklich der Fall sein, aber ein Mobbing ist sicher nicht die richtige Antwort darauf.

Im Mobbing-Geschehen kann das Opfer aber auch eine aktive Rolle einnehmen, die ggf. dem Mobbing schon vorausgegangen war. Der Betreffende könnte, noch bevor er vom Mobbing betroffen war, sich Anderen gegenüber so verhalten haben, dass auch andere Gruppen nicht gut mit ihm auskamen: er verhält sich Anderen gegenüber arrogant, bringt moralische oder leistungsmäßige Überlegenheit zum Ausdruck, diffamiert andere, die seinen eigenen Ansprüchen nicht genügen, greift besserwisserisch in die Kompetenzen anderer ein, zeigt sich starr und rigide in seinen Haltungen, hält sich nicht an die betriebliche Ordnung und an soziale Selbstverständlichkeiten. Auf solche Weise stellt er sich ungewollt selber ins Abseits, sondert sich von den Anderen ab. Mit der eigenen elitären Selbstabgrenzung kann er selber zu einer Fremdabgrenzung beitragen.

Das läßt mich zu einem letzten Punkt meines Vortrags kommen. In einem Beitrag über "Job & Karriere" referierte Birgit Will am 10. 6. 2003 (sueddeutsche.de) über "Mobbing". Auch sie ging davon aus, dass Mobbing am Arbeitsplatz verschiedene Ursachen haben kann. "Manche Menschen aber scheinen die zermürbende Boshaftigkeit ihrer Kollegen geradezu magisch anzuziehen. Aus diesem Grund forschen Psychologen schon seit längerem nach Persönlichkeitsmerkmalen, durch die ein Mensch zum Mobbing-Opfer wird. Dabei sind die Betroffenen keineswegs nur unsicher und sensibel, wie das bisherige Untersuchungen nahe legten. In einer umfangreichen Untersuchung haben Thomas Rammsayer und Kathrin Schmica von der Universität Göttingen jetzt herausgefunden, dass auch kreative und unkonventionelle Menschen besonders stark von Mobbing betroffen sind. Die Psychologen befragten über 300 Menschen, die sie mit Hilfe von Mobbing-Selbsthilfegruppen, Betriebsräten und Sozialarbeitern gefunden hatten. Nach Kriterien, die der schwedische Mobbing-Experte Heinz Leymann aufgestellt hat, entschieden sie, wer tatsächlich ein Opfer von Mobbing ist. Dann untersuchten sie (offenbar mit Fragebögen zur Selbsteinschätzung) nach einem unter Psychologen anerkannten Modell fünf grundlegende Persönlichkeitsmerkmale: Neurotizismus, Offenheit für neue Erfahrungen, Extrovertiertheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Dabei wurden die Göttinger Wissenschaftler von ihren eigenen Ergebnissen überrascht. Denn nicht nur der bekannte Risikofaktor "Neurotizismus" machte angreifbar, sondern auch das Merkmal "Offenheit (für neue Erfahrungen)". Offene Menschen sind in der Regel intelligent, lieben Abwechslung, sind eher anspruchsvoll und vertreten eine eigene Meinung."

Birgit Will ergänzt abschließend, dass auch für den Frankfurter Mobbing-Forscher Dieter Zapf das Ergebnis unerwartet, aber durchaus plausibel ist: Starke Persönlichkeiten würden offenbar durch ihr unkonventionelles Denken und ihr abweichlerisches Verhalten bei den Kollegen anecken. Das könne dann ebenso zur Ausgrenzung führen wie die Unterwürfigkeit "ängstlicher Hasen". Und als letztes: "Die neuen Erkenntnisse helfen zwar zu verstehen. Sie bieten den Mobbing-Opfern jedoch keine Lösung. Manchmal, sagt Thomas Rammsayer, gibt es für die Betroffenen nur einen Ausweg: den Arbeitsplatz zu wechseln". Die letzten Äußerungen erscheinen mir als zu pessimistisch. Wir sollten uns daher noch intensiver bemühen, dem Mobbing vorzubeugen und dem Mobbing-Opfer mit differenzierten Hilfen beizustehen.