2.4.10.10.4. Seine Sonderbeziehung zur „Vorsehung“

Hitler sah Gott quasi als seinen himmlischen Verbündeten, der seine Macht auf Erden für ihn, Hitler, und seine Sendung einsetzte, vergleichbar dem Gott Jahwe, der dies als himmlischer Kriegsherr für Israel tat. Das kam damals zum Ausdruck in dem hebräischen Wort berith („Bund“), dessen Sinn noch anklingt im Alten „Testament“, was auch als „feierliche Verpflichtung“ übersetzt werden kann, in der Jahwe seine Sonderbeziehung zu dem von ihm auserwählten Volk der Israeliten besiegelte. Dem entsprechend ist das Neue Testament zu verstehen als die Sonderbeziehung Gottes zu den an seinen Sohn Jesus, den Christus (= Messias), glaubenden Christen. Hitler nahm am 3. 7. 1932 Ähnliches für sich in Anspruch: „Wir hoffen, dass wir vom Schicksal dazu ausersehen sind, und dass der Allmächtige so entscheidet, denn bei uns ist der Wille, der Glaube“ (Adolf Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. München, 1994. Bd. V, Teil I, S. 209). Im Glauben Hitlers war es Gott selber, der den Heilsweg zur Erlösung Deutschlands geplant hatte und so der nationalsozialistischen Bewegung „einen Sinn gab und einen Arm“ (A. H., R.S.A. Bd. IV, T.1, S. 83). Sein Glaube wurde in weiten Kreisen des deutschen Volkes als christlich verstanden: „Im Juli 1941 konstatierte ein Bericht des SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Heinrich Himmler) ‚ ‚Missbrauch mit Namen und Äußerungen des Führers. Des Führers Erwähnung einer Vorsehung, eines Herrgottes usw. wird ständig in konfessionsfreundlichem Sinne gedeutet’ ... In mehreren Teilen des Reiches glaube die Bevölkerung, so monierte der Bericht weiter, dass Hitler täglich eine Kapelle aufsuche und für den Sieg bete“ (Rißmann, S. 189).

Hitler war überzeugt, sich und den Seinen göttliche Belohnungen verdient zu haben, so auch den Erfolg der „Bewegung“. Im Rückgriff auf diese Sonderbeziehung „konnten ... Maßnahmen ... nachträglich als Wunsch der Vorsehung legitimiert werden ... (und) die Einbindung der eigenen Person in einen religiösen Heilsplan (eignete sich) hervorragend, den eingeschlagenen Weg unter Inkaufnahme immer neuer Risiken weiterzugehen ... auch der hemmungslose Machiavellismus (Hitlers ist) über den „Vorsehungs“-Begriff (H. Sch.: den Glauben an die Vorsehung!) in das Gesamtsystem seiner Ideologie (H. Sch.: seines Glaubens!) eingebunden. Hitler wusste in schwierigen oder sogar aussichtlosen Situationen „die Vorsehung“ an seiner Seite und nutzte seinen direkten Draht zum Allmächtigen auch zur Rechtfertigung seiner aktuellen Willkürhandlungen. Damit war er vergleichbar dem Propheten Mohammed, der ja auch im passenden Moment (z. B. wenn er, entgegen dem für alle Muslime festgesetzten Limit, für sich selber eine weitere Frau haben wollte), sich auf Allahs Erlaubnis oder sogar Forderung berufen konnte. Auch Hitler konnte so denken: „Ich tue es, weil es der Allmächtige so will und mir offenbart hat!“ Auch nach C.-E. Bärsch (Die politische Religion des Nationalsozialismus. München, 1998) glaubte Hitler, in einer Spezialbeziehung zum allmächtigen Schöpfer und Herrn der Vorsehung zu stehen. Gott stand nicht nur immer schützend und als Garant weiterer Erfolge über der „Bewegung“, sondern schützte als Vorsehung besonders deren „Führer“: „Ich habe die Überzeugung, dass mir gar nichts zustößt, weil ich daran glaube, dass die Vorsehung mich für meine Arbeit bestimmt hat“ (A. H. : Reden, Schriften, Anordnungen, Bd. V, Teil 1, S. 349).

Diese Einstellung motivierte Hitler dazu, immer wieder auch hohe Risiken einzugehen, und dann etwa mit einem überraschenden Coup Erfolg zu haben, wo ein eher zögerliches Abwarten die sich bietende Chance verpasst hätte. Rißmann (S. 58) gibt wieder, wie Hitler dies selbst interpretiert hatte: „Nun ließ die Vorsehung ihr Werkzeug von Triumph zu Triumph eilen. Das Ergebnis der Saarabstimmung hing ebenso mit dem Wirken dieser schicksalsbestimmenden Instanz zusammen wie die erfolgreiche Besetzung des Rheinlandes: ‚Dass die Vorsehung mich bestimmt hat, diese Handlung zu vollziehen, empfinde ich als die größte Gnade meines Lebens’“. Und es war wieder die Vorsehung, die dem Diktator zum „Anschluss“ seiner alten Heimat verhalf (S. 58). Als sich hierfür eine günstige Gelegenheit ergab, „da fühlte ich in dieser Sekunde, dass nun der Ruf der Vorsehung an mich ergangen war“ (Domarus, S. 849).

Die Vorsehung konnte aber auch gegen ihn entschieden haben, wenn sie mit seiner Handlungsweise nicht zufrieden war: „Aber wenn wir dann mal was wollen, was dem Schicksal oder besser gesagt, der Vorsehung nicht passt (!), dann stoßen wir auf Widerstände und kommen nicht zum Ziel“ (Otto Wagener: Hitler aus nächster Nähe. Kiel, 1987. S. 142). Das Gewissen eines politischen Führers, so erläutert er in der Darstellung Wageners, „ist ihm von Gott gegeben, das ist die göttliche Stimme in ihm“ (S. 191). Ganz im Sinne des Buches Hiob im Altentestament verwies Hitler schon in den Friedensjahren „gerne auf Prüfungen Gottes; in den Kriegsjahren fehlten solche Bemerkungen in kaum einer wichtigen Rede“ Rißmann, S.71). Als sowjetische Truppen schon an der Oder und amerikanische Verbände am Rhein standen, erklärte Hitler seinem Sekretär Bormann: „Und wenn die Vorsehung das deutsche Volk trotz seines Opfermut im Stiche lässt, dann nur, um es durch noch größeres Leid in seinem Opfermut zu behaupten“ (zitiert nach Rißmann, S. 72).