2.4.10.6. Zur seelischen Entwicklung des Adolf Hitler 

Im Folgenden will ich mich nun näher mit der Person Adolf Hitlers und insbesondere mit den Entwicklungsschritten befassen, die ihn in vielen - vor allem negativen - Hinsichten zu einem Ausnahmemenschen werden ließen. Manche Zeitgenossen Hitlers, vor allem aber spätere Autoren, die sich unter Nutzung der jeweils verfügbaren Quellen mit seiner Lebensgeschichte befasst haben, sahen sich mit dem "Rätsel" Hitler konfrontiert: wie konnte ein Abkömmling von zum Teil noch analphabetischen Leuten aus dem österreichischen Waldviertel, er selber anfangs noch ein ungehobelter Hinterwäldler, einer ohne abgeschlossene höhere Schulbildung, der weder zum Kunststudium noch zum Architekturstudium zugelassen wurde, der als junger Arbeitsloser von familiären finanziellen Zuwendungen und später vom Postkartenzeichnen lebte, ein im Wiener Männerheim lebender Obdachloser und Hungerleider, einer der nach vier Jahren Teilnahme am 1. Weltkrieg als Gefreiter entlassen wurde, wie konnte so einer 15 Jahre später in Deutschland die Macht erringen, Führer und Reichskanzler der Deutschen und schließlich Oberbefehlshaber der Wehrmacht werden, nach 6 Jahren Aufrüstung einen Großteil von Europa erobern und bis Ende des 2. Weltkrieges an die 6 Millionen Juden umbringen lassen? Zwischen seinem schäbigen Start, dem beeindruckenden Aufstieg und der immerhin weltgeschichtlich herausragenden Katastrophe, für die er entscheidend verantwortlich war, tun sich anscheinend unüberbrückbare Abstände auf, klafft eine ganz erhebliche Ableitungs- oder Ergänzungslücke, so dass man sich fragen könnte: der armselige junge Mann in Wien, und der Herrscher über fast ganz Europa, sind das - nein, ist das! - wirklich ein und dieselbe Person?

Das wäre leichter zu verstehen und nachzuvollziehen, wenn es bei aller augenscheinlichen Differenz im Leben des Adolf Hitler auch irgendwelche Kontinuitäten gegeben hätte, die früh angelegt und zunächst eine Zeit lang bekräftigt worden waren, und die selbst bei einem längeren In-den-Hintergrund-Treten dennoch latent weiterbestehen konnten, um sich unter ganz bestimmten Umständen doch wieder durchzusetzen und sogar bis zur Hochform weiterzuentwickeln. Bevor ich dieser Frage mit eigenen Überlegungen nachgehe, möchte ich auf eine vielfach, vor allem von psychoanalytischer Seite, vorgebrachte Hypothese eingehen.