2.4.6.2. Juristische Probleme heutiger Korruption

Befassen wir uns aber erst einmal mit milderen Formen der Korruption. Bevor ich auf die Bestechung im engeren Sinne eingehe, möchte ich auf das Anbieten, Versprechen oder Gewähren von Vorteilen an einflussreiche Personen zu sprechen kommen (§ 332 StGB). Auf solche Weise können und sollen die Entscheidungen beeinflusst werden, die eine dazu befugte oder damit betraute Person in ihrem eigenen Ermessen treffen kann und auch darf, also ohne Verletzung ihrer Dienstpflichten, auch bei einer nicht pflichtwidrigen Handlung. Der Vorteilsgewährung an den Entscheidungsträger entspricht die Vorteilsannahme durch ihn (§ 331 StGB). In diesem Rahmen ist die Korruption zunächst nur ein für die Beteiligten vorteilhafter Tausch, eine Leistung für eine Gegenleistung, eine Gefälligkeit für erwiesene oder erhoffte Gefälligkeiten. Es kann dabei um materielle oder immaterielle Leistungen gehen, und sie können heimlich und freiwillig geschehen. Die Einflussnahme kann über Geldzuwendungen, »Werbegeschenke«, Parteispenden und andere Mittel erfolgen. Welches Mittel der Beeinflussung eingesetzt wird, hängt ganz einfach davon ab, welches Mittel bei vertretbaren Kosten den größeren Erfolg verspricht. Bei solcher Art Tausch können die Beteiligten auch verschiedenen Staaten angehören, und Angehörige von relativ korruptionsfreien Staaten können lernen, im Umgang mit korruptionsgewohnten Geschäftspartnern etwa aus Nigeria selber Bestechungsmethoden einzusetzen und zu perfektionieren.

Zu den milderen Formen der Korruption kann man auch den Lobbyismus zählen, das ist die nicht über die Verfassung geregelte »Mitwirkung« bestimmter Wirtschaftskreise oder Interessengruppen an der politischen Gestaltung eines Staates. Sie geschieht durch die gezielte Beeinflussung jener, die laut Verfassung mit der politischen Willensbildung, insbesondere der Legislative oder Gesetzgebung, und mit der Durchführung der getroffenen Entscheidungen, der Exekutive, betraut sind. Lobbyisten nehmen also über die Gesetzgebung schon vorsorglich Einfluss auf die generelle Ausrichtung künftiger Politik und versuchen darüber hinaus, die Entscheidungen der Exekutive zu beeinflussen, in denen es um die aktuelle Durchführung der Politik geht. In beiden Zielrichtungen versuchen Lobbyisten, außerhalb des geltenden Dienstweges oder Instanzenzuges mit wichtigen Personen oder Gruppen Kontakt aufzunehmen, um sie für die eigenen Interessen und Absichten zu erwärmen oder um politischen Druck, auch über die Presse, auf die Staatsfunktionäre auszuüben. So können pressure groups versuchen, im innergesellschaftlichen Verteilungskampf Einfluß auf die staatliche Gesetzgebung und die Ausführung der Gesetze und sogar auf die juristische Kontrolle von beiden zu nehmen.

Was kleine Geschäftsleute unter sich ausmachen, mag ihre Sache sein. Interessanterweise gilt die Bestechung von Angestellten der privaten Wirtschaft bloß als unlauterer Wettbewerb. Und dass Individuen und Interessengruppen den Wunsch und die Absicht haben, die staatlichen Institutionen über die dort mächtigen Einzelpersonen zu beeinflussen, das ist noch gar nicht anrüchig, sondern könnte und sollte sogar in aller Öffentlichkeit geschehen und bekundet werden. Anders ist die Sachlage, wenn etwa über nicht deklarierte und nicht versteuerte »Parteispenden« die Führungskräfte der Regierungsparteien dazu gebracht werden, bei einer Auftragsvergabe bestimmte Firmen zu bevorzugen, ohne bei der Ausschreibung die Prinzipien der Kosten-Nutzen-Rechnung zu beachten, nämlich mit möglichst wenig Steuergeldern möglichst viel zu erreichen oder zu bewirken. Denn insbesondere die Mächtigen in Wirtschaft und Staat tangieren mit ihren Entscheidungen die Interessen von vielen anderen Menschen; und Repräsentanten des Staates sind doch zu allererst dem Ganzen verpflichtet und sie sind gehalten, menschliche Rührungen gegenüber den Nöten ihrer eigenen Familienangehörigen hintan zu stellen. Es kommt daher eine neue Dimension ins Spiel, wenn sich die Klüngelei nicht bloß zu Ungunsten irgendwelcher Konkurrenten auswirkt, sondern gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt, und das heißt oft: gegen die des eigenen Volkes oder Staates. Besonders in diesem Falle spricht man von Korruption im engeren Sinne: damit sind Verhaltensweisen gemeint, die aufs Engste mit dem Motiv des persönlichen Gewinns der beiden Partner auf Kosten der Allgemeinheit verbunden sind.

Voraussetzung dafür ist, daß die Selbstorganisation einer freien Marktwirtschaft (eines »vollkommenen Marktes«!) durch staatliche Eingriffe eingeschränkt werden kann oder eingeschränkt ist, was einen Anreiz schafft, solche staatlichen Eingriffe durch Korruption zu beeinflussen, insbesondere durch Bestechung der Beamten, die eine Verfügungsgewalt haben hinsichtlich Verteilung und/oder Preis eines öffentlichen Gutes und über den Zeitpunkt seiner Bereitstellung. Das funktioniert nur, wenn ein solcher Beamter eine Macht- oder Vertrauensstellung innehat und auch bereit ist, die ihm eingeräumte Befugnis im öffentlichen Bereich zu missbrauchen. Wegen des Einflusses staatlicher Stellen auf das Wirtschaftsgeschehen verwundert es nicht, daß auch staatskapitalistische (insbesondere vormals oder heute noch marxistisch orientierte) Wirtschaftssysteme wie in Russland, China, Polen, Tschechien etc. am unteren (korruptionsträchtigen) Ende unserer Korruptionsskala vorzufinden sind. Korruption hat es zwar unter allen Staats- und Regierungsformen seit jeher gegeben, aber vereinfachend könnte man dennoch sagen: Je mehr Staat, um so mehr Möglichkeiten bieten sich zur korrumpierenden Einflussnahme auf staatliche Institutionen und mächtige Einzelpersonen. Genauso gilt aber: Je größer und mächtiger weltweit agierende wirtschaftliche Monopole geworden sind, um so mehr Mittel können diese zur Beeinflussung einzelstaatlicher Entscheidungen einsetzen und sie tun dies auch.

Aber bleiben wir vorerst bei der Gesetzeslage in Deutschland. Im engeren Sinne unseres Strafrechts verstehen wir unter Bestechung (§334 StGB) das Anbieten, Versprechen oder Gewähren von Vorteilen an Amtsträger, damit diese eine dem Vorteilgeber dienliche Diensthandlung vornehmen und dabei ihre Dienstpflichten verletzen. Die aktive Bestechung korrespondiert mit der passiven Bestechlichkeit (§ 332 StGB). Der letzteren macht sich ein Amtsträger schuldig, wenn er einen Vorteil annimmt, fordert oder sich versprechen läßt für eine Handlung, die eine Verletzung von Amtspflichten enthält. Das könnte etwa die unerlaubte Bevorzugung eines Anbieters von Leistungen trotz ihrer im Vergleich zu anderen Anbietern höheren Kosten sein, oder eine andere Form der Verletzung der Neutralitätspflicht und zwar zu Gunsten dessen, der dafür dem entscheidenden Beamten private Vorteile angeboten und erwiesen hat. Für Bestechungen kommen heutzutage vor allem Personen in Frage, deren Machtwort oder alleinige Unterschrift dem Vorteilsgewährer schon einen erheblichen Nutzen bringen kann. Auch das Herbeiführen einer derartig entscheidenden Unterschrift kann weitere »Investitionen« des Vermittlers und damit weitere Bestechungsmittel erforderlich machen. Insgesamt gilt: Jeder Entscheidungsbefugte ist um so bestechlicher, je höher der zu beeinflussende Gesamtwert einer wirtschaftlich-finanziellen Transaktion, vergleichbar dem Streitwert eines Zivilprozesses, ist, und je mehr der Beamte davon als Provision für sich abzweigen kann. 10 bis 15% von einer Milliarde sind immerhin 100 bis 150 Millionen; und das auf einmal, mit einer Unterschrift! Denn fast jeder ist bestechlich, es kommt entscheidend auf den Betrag an! Und wenn dieser Satz gilt, dann sollten solche Beträge gering gehalten werden!