Abschließend möchte ich noch auf zwei Stellungnahmen eingehen, die mir nach meinem Vortrag dankenswerterweise zugänglich gemacht wurden, wenn auch mit der erklärten Absicht, meine Position als mit moderner Biologie nicht vereinbar hinzustellen. Meine hier vorgetragenen Auffassungen stehen nämlich, zumindest in der Gesamttendenz, in deutlichem Gegensatz zu einer "Stellungnahme zur Rassenfrage", die von den Teilnehmern einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der internationalen UNESCO-Konferenz "Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung" 1995 erarbeitet und von 18 z.T. renommierten Biologen, Anthropologen, Anatomen und Genetikern unterzeichnet worden ist. Die beiden Schlusssätze der auf zwei DIN A4-Seiten begrenzten Ausführungen lauten: "Mit diesem Dokument wird nachdrücklich erklärt, dass es keinen wissenschaftlich zuverlässigen Weg gibt, die menschliche Vielfalt mit den starren Begriffen "rassischer" Kategorien oder dem traditionellen "Rassen"-Konzept zu charakterisieren. Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, den Begriff "Rasse" weiterhin zu verwenden."
Es ist natürlich richtig, sich wie in dieser Stellungnahme (und übrigens auch in meinem hier vorgelegten Beitrag!) wissenschaftlich gegen die Verwendung eines "völlig obsolet" gewordenen, "überholten", "traditionellen", "starren" Begriffs von "Rasse" zu verwahren, etwa gegen die Auffassung (die ich selber absolut nicht teile), Rassen seien genetisch in sich völlig einheitlich, untereinander dagegen völlig unterschiedlich und streng voneinander abgegrenzt. Ebenso ist es richtig, dass es keine überzeugenden Belege für interrassische Verschiedenheiten hinsichtlich Intelligenz und anderer psychologischer Merkmale gibt. Ich selber möchte ausdrücklich betonen, dass diese Merkmale vielmehr intrarassisch variieren und dabei zu unterschiedlichen Anteilen genetisch, kulturell und lerngeschichtlich bedingt sind.
Bei aller Kritik am "Rassen"begriff können die Autoren dieser Stellungnahme aber nicht umhin einzuräumen, dass es leicht sei, bei Menschen aus verschiedenen Teilen der Erde Unterschiede in ihrer äußeren Erscheinung (Hautfarbe, Morphologie des Körpers, Pigmentierung etc.) zu erkennen, und sie schreiben selbst von "auffälligen genetisch determinierten morphologischen Unterschieden". Schließlich erwähnen sie zustimmend, dass sich der Mensch "an sehr unterschiedliche und zuweilen extreme Umweltbedingungen" (z.B. an raues Klima) genetisch angepasst habe. Die Notwendigkeit der Anpassung an extrem unterschiedliche Umweltbedingungen habe ( ... ) in einer ( ... ) Untergruppe von Genen, die die Empfindlichkeit gegenüber Umweltbedingungen betreffe, Veränderungen bewirkt. Die Autoren schaffen es dennoch, durch die Einfügung relativierender Wörter wie "nur" und "kleinen", die ich in dem eben angeführten Zitat ausgelassen und durch ( ...) ersetzt habe, den Sinn der an sich richtigen Feststellung fast bis ins Gegenteil zu verkehren.
Dem ist entgegenzuhalten: Den alten "Rassen"ideologien stehen moderne wissenschaftliche Feststellungen über Rassen oder Unterarten gegenüber, die keineswegs zur Konsequenz haben müssen, wegen einer missbräuchlichen Verwendung des biologischen Rassenbegriffs auch diesen selber zu verwerfen. Es gibt keine zwingenden biologischen Gründe, einen sowohl seit Darwin bewährten wie auch mit moderner Biologie begründbaren wissenschaftlichen Begriff der Rasse oder Unterart mit einem Anathema ex cathedra aus dem Wortschatz der Wissenschafts- und der Umgangssprache zu verbannen. Das hieße nämlich, die politische Korrektheit (p.c.) zum Maßstab wissenschaftlicher Erkenntnis zu machen. Allgemeiner gesagt: Man kann nicht den Rassismus loszuwerden versuchen, indem man mit dem Segen der UNESCO dekretiert, dass es keine Rassen gibt. Denn dann könnte man ja auch die Auswüchse des Kapitalismus dadurch beseitigen, dass man - erleichtert aufatmend - verkündet, dass es gar kein Kapital gebe. Auch mit dem Imperialismus, etwa der USA, könnte man dann leicht fertig werden mit der Feststellung, dass es keine Imperien gebe. Dies alles würde ich als magisches Denken bezeichnen, nämlich als den Versuch, ein Wort aus der Sprache zu verbannen in der Erwartung und frommen Hoffnung, damit die Sache aus der Welt zu schaffen.
Nur kurz möchte ich auf einen Beitrag von Prof. Ulrich Kattmann eingehen, eines (Human)-Biologie-Didaktikers der Universität Oldenburg, der in einem Uni-Info 9/ 1998 unter der Überschrift "Im Grunde sind wir alle Afrikaner" für eine Humanbiologie jenseits von "Rassen" plädiert, weil er das alte anthropologische Konzept der Rasse als nicht mehr haltbar ansieht. Da Kattmann zu den Unterzeichnern der eben referierten Stellungnahme gehört, will ich hier von ihm nur das zitieren, was ich als seinen selbstverantworteten Eigenbeitrag ansehen kann. So schreibt Kattmann: "Das Menschenrassen-Konzept verlangt danach, die Menschen auch dann in einander ausschließende Gruppen zu trennen, wenn es zwischen diesen Gruppen alle möglichen Übergänge gibt". Verlangt es das wirklich? Welch einen Popanz baut er da auf, um ihn dann besiegen zu können! Als gäbe es heute noch wissenschaftlich ernstzunehmende Biologen, die den Begriff Rasse oder Unterart tatsächlich so verstehen würden! Selbstverständlich gibt es zwischen Rassen (im Unterschied zu Arten) fließende Übergänge und sie schließen keineswegs einander aus. Das tun noch nicht einmal Arten: sie sind nur in ihrer interspezifischen Kreuzbarkeit weitgehend eingeschränkt und die Vermehrbarkeit ihrer ggf. noch möglichen Bastarde (hier nicht als Schimpfwort gebraucht!) kann bis auf Null aufgehoben sein. Dann haben sie keinen gemeinsam verfügbaren Genpool mehr. Genauso falsch ist die Behauptung von Kattmann, "dass der Terminus >Rasse< in der Zoologie weitestgehend obsolet" sei. So meint er sogar, dass der "einzige Objektbereich, in dem >Rasse< als Fachwort angewendet werde, ... die Zuchtformen der Haustiere" seien.
Immerhin hat Kattmann aber mitgekriegt, dass solcher Kritik am Menschenrassen-Konzept "auch von biologischer Seite oft Unverstand und Widerstand entgegengebracht" werde, "da man bei Aufgabe des Rasse-Begriffs allgemeinbiologische Prinzipien verletzt" sehe:
"Rassenklassifikation sei ein in der ganzen Biologie übliches Verfahren;
Der Mensch habe biologisch keine Sonderstellung und sei daher wie alle anderen Tierarten zu behandeln;
Das Rassenkonzept sei zum Verständnis der Evolution notwendig."
Dem habe ich in der Sache nichts hinzuzufügen. Aber ich kann nur hoffen, dass der Biologie-Didaktiker Kattmann seinen Studenten, den zukünftigen Biologie-Lehrern, wenigstens diesen von ihm zitierten Rest an moderner Rassentheorie nicht vorenthält. Immerhin hat er sich ja zu einem fast versöhnlichen Schlusswort aufgerafft: "Wer weiterhin naturwissenschaftlich von Rassen des Menschen sprechen will, muss erklären, in welchem Sinne dies sachgemäß und auch im Lichte der geschichtlichen Wirkungen des Konzepts gerechtfertigt sein könnte. Unter dieser Forderung lauert kein Denkverbot, sondern das Gebot, Denkgewohnheiten zu hinterfragen und Konzepte auch hinsichtlich ihrer ethischen Komplikationen zu reflektieren. Wissenschaftler sind nicht nur verantwortlich für das Handeln, sondern auch für das Denken, das sie nahe legen oder anstiften". Ich will diese Anmahnung ganz ernst nehmen und plädiere also dafür, den biologischen Rassebegriff nicht noch weiterhin für ideologische Zwecke zu missbrauchen und auch von Rassismus nur noch dann zu sprechen oder zu schreiben, wenn es sich tatsächlich um eine Benachteiligung oder Bevorzugung von Menschen eben wegen ihrer Rasse handelt. Die "Anti-Rassismus"-Ideologie ist zwar weitaus harmloser als es die "Rassen"-Ideologie war, aber ein ideologiefreier Umgang mit etablierten biologischen Begriffen wäre mir doch noch lieber.