2.3.4.4. Allendlich (engl. omnifinite)

Als allendlich bezeichne ich maximale und zugleich begrenzte Mengen wie die Gesamtheit allen Seins, das Weltall mit all seinen Elementarteilchen, auch alle bisher und zur Zeit lebenden Menschen, usw. Allendlich scheinen mir auch einige Eigenschaften des Christengottes zu sein: nämlich dass er allwissend, allmächtig, allgegenwärtig, ja sogar allgütig und allbarmherzig ist. Zu dem, das schon Alles ist, kann man nichts mehr hinzufügen, da hört alles Weiterzählen auf, da ist Ganzheit und Vollkommenheit. Die Allendlichkeit erschien mir daher als prinzipiell statisch und konservativ, eben schon fertig, in ihrer Vollkommenheit und in ihrem Übermaß erdrückend, keinen Platz lassend für das dennoch Andere und Weitere. Die Allendlichkeit sah ich darüber hinaus als übermächtig und zugleich machterhaltend an; allmächtig zu sein war seit jeher der Anspruch der Diktatoren, und allwissend zu sein der Anspruch der Geheimpolizei. An so etwas wie allgütige Allbarmherzigkeit konnte ich ohnehin schon lange nicht mehr glauben, sie erschien mir als glatte Lüge. Und ist nicht "alles!" zugleich ein infantiler Anspruch eines Kindes, das im Moment nicht genug kriegen kann, aber noch keine Vorstellung davon haben kann, wie viel "Alles" in Wirklichkeit ist!

Befassen wir uns noch näher mit dem der jüdisch-christlichen Theologie noch näherstehenden Begriff der "Allendlichkeit" (oder als Adjektiv: "allendlich"). Wie an der Wortprägung erkennbar, soll hier in einem Ganzen alles Endliche eingeschlossen sein. Zur Allendlichkeit gehören somit alle Begriffe, die ein unendlich großes geschlossenes Ganzes meinen, wie das All, das Sein, das Umgreifende (K. Jaspers), und außerdem alle Attribute, die diesem All-Einen zugehörig sind oder ihm zugesprochen wurden, wie die Allmacht des Schöpfers, die Allwissenheit der Vorsehung, die Allbarmherzigkeit des summum bonum der mittelalterlichen Scholastik, die Ewigkeit des unsterblichen Gottes "wie er war von Anfang und sein wird bis in alle Ewigkeit". In dieser Weise wird der Ausgangsbegriff "unendlich" eher substantivisch (und nur sekundär adjektivisch) verwendet, um ein höchstes, größtes, mächtigstes etc. Sein oder Wesen durch seine gleichermaßen extremen (und anscheinend positiven!) Eigenschaften zu kennzeichnen. Dabei ist neben der schieren Größe auch eine höchste Komplexität mitgemeint: das höchste Sein ist zugleich unendlich oft und dicht in sich selbst eingefaltet, es ist quasi megalo- oder maxiplex, und es kann daher wiederum alles endliche Sein aus sich heraus emanieren.

Ich habe meine Schwierigkeiten mit solchem Allendlichen: es ist mir einfach zu groß, zu mächtig, ja geradezu grobklotzig und großkotzig; es erdrückt mich mit seiner Größe, macht mich zumindest klein und winzig, es belastet mich eher, als dass es mich erheben könnte. Ich könnte nur denkend eine Beziehung zu ihm haben, aber auch dann erscheint mir seine schiere Quantität als von monströser Größe. Das Allendliche ist auch besitzergreifend, es kann nichts weglassen und nichts außerhalb seiner selbst für sich bestehen lassen, sondern es muss alles in sein allendliches Sein einbegreifen. Das macht seinen statischen Charakter aus: eine Gesamtmasse ist, selbst wenn sie sich in Energie hin- und rückverwandeln kann, insgesamt ein ganzes Eines. Selbst dessen mögliche innere Bewegung bringt nichts eigentlich Anderes oder gar Neues: auch ein von Urknall zu Urknall pulsierendes Weltall bleibt in sich gleich, in ewiger Wiederkehr (die von Friedrich Nietzsche noch als positiv eingeschätzt wurde; ich dagegen fände sie schlimm!). Da capo al fine, das fängt bei der dritten Wiederholung an, den Hörer zu langweilen; da muss ein Kratzer in der göttlichen Schallplatte sein - noch einmal, noch einmal, noch einmal, und immer wieder dasselbe! Es sind offenbar eher solche negativen Aspekte, die ich in der "Allendlichkeit" vereint sehe.

Die meisten Werte leiden unter ihrer allendlichen Steigerung: so sympathisch mir ein mutiger Mensch sein kann, so grässlich finde ich den allmutigen Überhelden ("der kann vor Kraft nicht laufen!"). Auch die Anmut lässt sich nicht bis ins Unendliche steigern, nicht zur All-Anmut extremalisieren: vor einer niemals mehr überbietbaren Anmut würde man eher die Flucht ergreifen, denn auf Dauer wäre sie langweilig. Wie schön ist dagegen die Anmut im vorübergehenden Augenblick, die anmutige Geste eines Mädchens, das ansonsten gar nicht so übermäßig schön zu sein braucht. Und "die Allerschönste", war das nicht eine auf ihr Stiefkind eifersüchtige Frau, die das Schneewittchen mit einem vergifteten Apfel und anderem Hexenwerk töten wollte, um selber "die Allerschönste im ganzen Land" bleiben zu können?