2.3.2.2. Alberts Auseinandersetzung mit der Letztbegründungs-Problematik

Auf dieser zunächst akzeptierten Grundlage komme ich jetzt auf Alberts Auseinandersetzung mit der Problematik einer Letztbegründung der Erkenntnistheorie zu sprechen. In seinem "Traktat über kritische Vernunft" geht Albert von folgendem Problem aus: "Wenn man für alles (H. S.: nämlich was als Wahrheit behauptet wird) eine Begründung verlangt, muss man auch für die Erkenntnisse, auf die man jeweils die zu begründende Auffassung ... zurückgeführt hat, wieder eine Begründung verlangen. Das führt zu einer Situation mit drei Alternativen, die alle inakzeptabel erscheinen, also: zu einem Trilemma" (S. 15), von Albert als Münchhausen-Trilemma bezeichnet. In ihm hat man anscheinend nur die Wahl zwischen:

  1. einem infiniten Regress, der durch die Notwendigkeit gegeben erscheint, in der Suche nach Gründen immer weiter zurückzugehen, der aber praktisch nicht durchzuführen ist und daher keine sichere Grundlage liefert;

  2. einem logischen Zirkel in der Deduktion, der dadurch entsteht, dass man im Begründungsverfahren auf Aussagen zurückgreift, die vorher schon als begründungsbedürftig aufgetreten waren, und der ebenfalls zu keiner sicheren Grundlage führt;

  3. einem Abbruch des Verfahrens an einem bestimmten Punkt, der zwar prinzipiell durchführbar erscheint, aber eine willkürliche Suspendierung des Prinzips der zureichenden Begründung involvieren würde.

Herr Albert fragt sich nun (Traktat über kritische Vernunft, S. 17), "ob sich nicht die ganze Situation vermeiden läßt, die zur Entstehung des Münchhausen-Trilemmas führen muss". Es sei ja durchaus möglich, dass die Suche nach dem archimedischen Punkt der Erkenntnis einer Formulierung der Problemsituation entspringt, die der Kritik nicht standhalte. Man dürfe nicht übersehen, dass auch Problemstellungen vielleicht Voraussetzungen enthalten (ich ergänze: z.B. die einer "sicheren Begründung"!), die falsch und daher irreführend sein könnten. Das Problem des archimedischen Punktes (ich ergänze: der einen festen und sicheren Ansatzpunkt für den Wahrheitsbeweis bietet), könne zu den falsch gestellten Problemen gehören (S. 17). Ähnlich äußert er sich in seinem Buch "Kritischer Rationalismus" (S. 13): "... Man sieht, wie die klassische Forderung nach sicherer Begründung in eine ausweglose Situation führt, wenn man sie ernst nehmen wollte", und auf S. 15: "Wenn wir das klassische Erkenntnisideal und die Forderung nach sicherer Begründung aufgeben, ändert sich unsere Problemsituation in entscheidender Weise".

Einen Ausweg aus dem Trilemma habe Karl Popper mit seiner Idee eines hypothetischen oder konjekturalen (mutmaßenden) Wissens gewählt. Alle Problemlösungen - Theorien, Erklärungen, Überzeugungen, Systeme - könnten sich nur vorläufig bewähren, weil sie bisherigen kritischen Prüfungen standgehalten hätten. Und es lohne sich, nach Alternativen zu suchen, zum Beispiel nach anderen Theorien, welche die Probleme besser lösen, mehr erklären und mit weniger Schwächen behaftet seien, denn diese Konzeption gehe von der Annahme aus, dass der Mensch bei der Lösung aller seiner Probleme fehlbar sei und sich daher irren könne und dass es auch keine Methode gebe, die ihn davor schützen könne (S. 16). So weit, so gut, in meiner Einschätzung sogar sehr gut!

Aber dann kommt noch etwas dazu, was ich nachgerade als Umkehrung des strengen Letztbegründungs-Anspruchs ansehe (und gegenüber Umkehrungen bin ich eher skeptisch!), nämlich Poppers und Alberts so sehr konsequenter Fallibilismus, der methodisch den Akzent auf die Widerlegung von Aussagen legt und die Suche nach Anomalien und nach Alternativen betont. In der Forderung nach kritischer Prüfung wird die Logik als Werkzeug der Kritik verwendet, wobei grundsätzlich keine Aussage oder Regel der Kritik entzogen ist (S. 15/16). Ich frage mich nun: Ist hier nicht die Forderung nach absolut sicherer Letztbegründung ersetzt worden durch die Forderung nach absolut strenger Dauerfalsifizierung, die damit einer Letztbegründungs-Negation entspräche?